Das Original ist die Kopie

 

 

 

 

   

 

Es wird Ihnen nicht möglich sein, Originale von Zazies Kunst zu bekommen, und folglich werden Sie auch keine Kopien bekommen, einfach deshalb weil es keine gibt. Man sollte hier eher von Formen der Erscheinung sprechen, denn in der Beziehung zwischen Original und Kopie herrscht noch immer die Idee vor, dass eine Kopie eine Art Ersatz für das Original ist. 

Dies ist nicht der Fall, spricht man beispielsweise von einer Erscheinungsform von Buddha oder von einer der drei Personen der heiligen Dreifaltigkeit, von denen keine in irgendeiner Weise der anderen unterlegen ist, weil jede von ihnen die heilige Dreifaltigkeit als Ganzes, bzw Buddha selbst ist. 

In alle Himmelsrichtungen des weltweiten Kommunikationsnetzes dargeboten, garantiert das digitale Kunstwerk nun eine totale Allgegenwart. Möglicherweise ist es überall und das mit einer Präsenz, die stärker ist als je zuvor. Wenn Sie eines von Zazies Bildern in Ihr bevorzugtes Bildbearbeitungsprogramm herunterladen, werden Sie in der Lage sein, seine Innereien nach Belieben zu erforschen. Schlimmer noch: Sie können es nach Ihrem Geschmack korrigieren und sogar zerstören - dies bis ins letzte seiner pulsierenden Pixel. 

Ja. Wenn Sie wollen, können Sie das besitzen, was von der Stofflichkeit dieser Bilder übriggeblieben ist, und zwar in einer Tiefgründigkeit, die niemals zuvor erreicht wurde. 
Und trotzdem wird Ihnen weder von der Magie, noch vom Geheimnis der Bilder etwas weg genommen.

 


Farbflecken als Mathematik 

Eines Tages zeigte ich einer unschuldigen koreanischen Studentin einige Arbeiten eines befreundeten Surrealisten aus Florida. 
"Oh !" sagte sie, "dein Freund hat ziemlich seltsame Ideen". 
"Ach so?", antwortete ich, "Ich persönlich glaube eher, dass du seltsame Ideen hast". 
"Warum sagst du das?" sagte sie errötend. 
"Weil ich diese Bilder gestern via Internet bekommen habe, und folglich ist, was du vor Augen hast, nichts anderes, als eine ziemlich lange Reihe binärer Zahlen
Und ich stimme mit dir überein, dass das vielleicht ziemlich langweilig ist, aber sicher nicht seltsam. Du siehst also, wenn es etwas seltsames in den Bildern meines Freundes gibt, muss es von deinem eigenen Geist kommen, und nicht von diesen Farbflecken vor unseren Augen, die nichts anderes sind, als eine Übersetzung eines mathematischen Kunstgriffes." 

Offensichtlich hinterliessen meine Argumente - die ganz genau den Grund der Dinge beschreiben - ein bisschen Verwirrung, und machten das Rot auf ihren Wangen noch reizender. 

Ja. Was Sie da sehen, ist in Ihnen. Oder es ist absolut nichts anderes, als die visuelle Übersetzung einer ziemlich grossen Anzahl binärer Zahlen.

 


Die Magie des Originals 

Und sie werden jetzt verstehen, was diese alte Geschichte von Original und Kopie an Trug und Ungenauigkeit beinhaltet. Indem Sie die Betonung auf die Stofflichkeit des Werkes gelegt haben, waren Sie in dem Glauben, dass das Magische im Original liegt und dass seine Macht in der Kopie nur geringer werden konnte. Tatsächlich aber ist dieses Magische in Ihnen selbst und seine Essenz ist die Essenz eines Zusammentreffens. 
Es besteht sozusagen aus jenem Teil Ihrer selbst, der einzigartig ist und daraus, was einzigartig an diesem Moment ist, in dem Sie das Werk zum ersten Mal sehen. Mit anderen Worten handelt es sich hier um etwas, von dem man in keiner Weise erhoffen kann, es zu kopieren

Sobald der Künstler aufhört, mit den traditionellen Mitteln zu arbeiten und ein vollkommen digitales Werk schafft, kann dieses Werk in sovielen Erscheinungsformen dupliziert werden, wie man will. 
Und diese Erscheinungsformen sind wirklich auf vollkommene und exakte Art gleich, genau so wie man sie haben will. Jede einzelne von ihnen ist das Werk selbst. 
Und diese Multiplikation ohne Qualitätsverlust kann dank des weltweiten Kommunikationsnetzes überall realisiert werden. Von diesem Moment an löst sich der erstaunliche Archaismus eines Geistes, eines Manna, das mit dem Original verbunden bliebe und das sich in der Kopie verlieren würde, auf. 
Und dies obwohl dieser Archaismus die Wurzel des wichtigen und mysteriösen Kunstmarkts ist.

 


Das Original in der Musik 

Dies ist jedoch nicht sonderlich überraschend. In der Musik hat es noch nie solche Dinge wie  Original und Kopie gegeben. Und es hat auch noch nie einen Sinn gemacht, in der Literatur über Originale und Kopien zu sprechen, denn spätestens seit Gutenberg ist den Qualen der Kopisten ein Ende bereitet worden. 
Natürlich werden Sie noch hie und da einige Leute finden, die stolz darauf sind, das Manuskript eines bestimmten Buches oder eines Musikstückes zu besitzen, aber selbst diese Abirrungen werden in dem Maße verschwinden, in dem Autoren und Musiker den blanken Schrecken vor einer jungfräulichen, weissen Seite und vor dem Duft der Tinte verlieren werden. 

Die Aufregung war schon gross, als die Photographie über uns hereingebrochen ist. 
Aber alles in allem hat die Photographie nur das Prestige des Originals betont, als etwas, das eine bestimmte Art von Seele enthält, welche die Photographie nicht erfassen konnte. 
Es ist auch wahr, dass einige technische Probleme zu lösen waren. Die Originaltreue (High Fidelity) existiert in der Musik, oder sie misst sich zumindest daran, aber man wird in der Malerei vergeblich nach einem Äquivalent suchen. 

Egal, welche Vorsichtsmaßnahmen Sie auch treffen mögen, der springende Punkt hier ist nicht nur, dass Reproduktionen gemalter Bilder für gewöhnlich enttäuschend sind, sondern schlimmer noch, dass Originale sich selbst kaum treu sind. Man gewöhnt sich ziemlich schnell daran - und zwar mit einer erstaunlichen Leichtigkeit - was alte Werke betrifft, aber wenn es sich um neuere handelt...... 
Man braucht nur einmal zu beobachten, was mit verschiedenen Rottönen in Van Gogh´s Werk passiert, um eine Idee davon zu bekommen, inwieweit Originalpigmente den Maler im Stich lassen können.

 


Sterbliche Gemälde 

Die Zeit vergeht und mit ihr vergehen die Farben sowie die Emotion beim ersten Betrachten. Es gibt kein Beispiel, wo man es geschafft hätte, diese Dinge in einen Tresor zu sperren. 
Und das ist genau das, was Marcel Duchamp darüber gedacht hat : 
"Ich bin überzeugt davon, dass die Malerei im Sterben liegt. Jedes Gemälde stirbt nach vierzig oder fünfzig Jahren, weil es dann seine Frische eingebüßt hat. Und der Plastik geht es nicht anders. Das ist meine ureigene Ansicht, so ein privater Spleen, der von niemandem sonst geteilt wird - aber das ist mir gleich. Meiner Meinung nach stirbt jedes Gemälde nach einigen Jahren, genauso wie sein Urheber. Und danach spricht man dann von Kunstgeschichte. Es besteht z.B. ein riesiger Unterschied zwischen einem Monet heute, der ganz dunkel geworden ist und einem Monet vor sechzig oder achzig Jahren, als er noch leuchtend und neu war. Jetzt gehört er der Geschichte an und ist allgemein anerkannt, und das ist auch gut so, denn ändern tut sich ja doch nichts. Die Menschen sind sterblich und die Gemälde sind es auch." 

["Gespräche mit Marcel Duchamp", Pierre Cabanne, Seite 101] 

Trotzdem, obwohl nichts uns die radikale Neuheit eines etwas "nie gesehenen" zurückgeben kann, wenn sie einmal vorbei ist, gibt es einige Gründe zu denken, dass die digitale Kunst uns treuer bleiben wird, als die Ölmalerei. 
Weil die digitale Kunst nicht die Farbe selbst speichert, sondern eher in Form von Zahlen das speichert, was notwendig ist, um die Reproduktion zu sichern, also sozusagen ihre Gene. 

Und wir sollten darüber nicht traurig sein, weil wir bezüglich der Erinnerung viel eher den Genen trauen können, als Marmor oder Bronze. In der Tat gibt es jede Menge Beispiele von lebenden Organismen, die es geschafft haben bis heute vollkommen intakt zu bleiben,obwohl sie, über Millionen von Jahren ihrer Geschichte das Entstehen und Untergehen von ganzen Gebirgen bezeugen können. 

Aber, wird man sagen, handelt es sich dabei noch um Malerei ? 
Kann sein, kann aber auch nicht sein. Aber auf jeden Fall, wie es auch Duchamp lange bevor es digitale Kunst gab, gesagt hat : 
"'Malen', das bedeutet gar nichts. Das bedeutet nur 'Etwas machen'. 
Es gibt die Ölmalerei seit achthundert Jahren, aber es wird die Ölmalerei nicht mehr geben : Es wird Keramiken geben, farbiges Licht oder alles, was Sie wollen. In der Musik wissen Sie, was passiert ist : Jedesmal, wenn ein neues Instrument erfunden wurde, hat es eine neue Musik gegeben, geschaffen durch das neue Instrument. Das war trotz allem eine andere Facette derselben Sache, vom metaphysischen Gesichtspunkt aus betrachtet. Also wird es dieselbe Sache sein. Selbst wenn man die Ölmalerei vollkommen abschafft, wird sie durch etwas anderes ersetzt werden, aber es wird immer der Ausdruck eines Individuums oder einer Gruppe von Individuen bleiben, die ihr Unterbewußtes sprechen lassen." 

["Entretiens avec Marcel Duchamp", Georges Charbonnier, Seite 34]

 


Das letzte Museum 

Das Verschwinden selbst des Konzepts des Originals gibt dem Kunstwerk eine Vielseitigkeit und eine Flexibilität zurück, die früher nur das Leben selbst hatte. 
Und vielleicht werden wir Zeugen des Verschwindens des letzten Museums . Vielleicht wird es weder notwendig noch möglich sein,  aus Kunstwerken "tote Buchstaben" zu machen. 
Vielleicht muss das Kunstwerk selbst, sofern es überleben will, in irgendeiner Weise seine eigene Reproduktion und Verbreitung sichern, basierend auf der Macht seiner eigenen Magie, wie eine Art Computervirus, das sich selbst auf Grund der Emotionen, die es hervorruft und auf Grund des Verlangens des Betrachters, das Werk bei sich zu behalten, vervielfältigt. 
Mit anderen Worten: durch und für das Vergnügen

Trotz allem, was ich gesagt habe, und trotz des unzweifelhaft Wahren darin - zumindest hie und da - weiss ich sehr gut, dass Sie nicht aufhören werden, sich wieder und wieder die Frage nach dem Original zu stellen. 
Und das betrübt mich in keiner Weise, weil ich ebensogut weiss, dass diese Frage, die Sie immer und immer wieder aufwerfen, in Wirklichkeit die Frage nach der Seele ist. 
Diese Frage, der Mythos des Originals, hat Sie davon befreit, in die Tiefen der Stofflichkeit zu flüchten, so dass Sie all diese Ausstellungen mit Neugierde, mit Offenheit sicherlich , aber im Grunde mit Heiterkeit besucht haben. 

Aber schauen Sie....Diese alte Frage nach der Seele, die von der Kunst aus den Tiefen der Werke heraus aufgeworfen wurde, brauchte nur eine winzige technologische Verschiebung, um wieder aufzutauchen. Und welche Anstrengungen Sie auch unternehmen, werden Sie ihr nie wieder entkommen können. 
Digitale Kunst - und das ist erst der erste Schritt ihrer Größe - hat nun Sie für diese Frage verantwortlich gemacht.

 

 

 


Anmerkungen : 

... eine ziemlich lange Reihe binärer Zahlen... 
Genauso wie der Mond nicht das Gesicht eines Mannes ist, wie der Schatten eines Zweiges auf der Mauer von Dali´s Haus in Figueras kein Portrait von Voltaire ist und wie keine Drachen in den verzerrten Formen der Wolken sind.... 
Die Tatsache, dass wir die Schatten auf dem Mond oder eines Zweiges oder die Wolkenformen als Formen interpretieren, heisst noch lange nicht, dass diese Formen in der Realität auch existieren. Sie wurden durch unsere aktive Wahrnehmung geschaffen, sicherlich aus einem existierenden Phänomen heraus, ein Phänomen aber, das die aktive Wahrnehmung einer Schnecke oder einer Biene ganz anders, oder vielleicht auch überhaupt nicht interpretieren würde. 
Genauer gesagt, wahrnehmen ist eine Entscheidung. 
Und es ist diese Entscheidung, die uns die Ready-Mades von Duchamp in ihrem Ursprung enthüllen. Das jedoch war uns in gewisser Weise schon klar, weil das langsame Entstehen des Alphabets, das heisst der Übergang von willkürlichen Zeichen der Piktogramme zur Schrift uns ganz klar gezeigt hat, dass jedes Bild alles repräsentieren kann, vorausgesetzt, dass wir entschieden haben, dass dies so sei. 

... Das letzte Museum... 
Oder genauer gesagt erleben wir vielleicht das Ende seiner ursprünglichen und primären Funktion als Ort, wo Originale aufbewahrt werden.